MS und Rollstuhl
Multiple Sklerose (MS) wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft automatisch mit dem Rollstuhl in Verbindung gebracht. Dieses Bild gehört jedoch zu den häufigsten Mythen rund um MS. Tatsächlich zeigen aktuelle Daten, dass die große Mehrheit der Betroffenen auch viele Jahre nach der MS-Diagnose noch mobil ist: Knapp 17 Jahre nach der Erstdiagnose sind fast 90 Prozent der Menschen mit MS weiterhin ohne Hilfe gehfähig, wie eine US-amerikanische Langzeitstudie belegt (Quelle = idw vom 27.10.2016). Diese Zahlen verdeutlichen, dass Multiple Sklerose nicht zwangsläufig mit einem Leben im Rollstuhl gleichzusetzen ist.
MS-Themen aus dem Inhalt:
Der Rollstuhl als Druckmittel
Immer wieder berichten Betroffene, dass der Rollstuhl von Ärztinnen und Ärzten in Gesprächen als eine Art Druckmittel verwendet wird. Aussagen wie „Wenn Sie keine Medikamente nehmen, sitzen Sie bald im Rollstuhl“ sind keine Seltenheit. Für viele Patientinnen und Patienten klingt das nach Panikmache – einer Strategie, um die Entscheidung für ein MS-Medikament zu beschleunigen.
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass nicht alle Ärztinnen und Ärzte diesen Weg gehen. Es gibt viele, die sensibel und respektvoll aufklären, über Chancen und Risiken sprechen und deutlich machen: Ja, es kann zu Einschränkungen kommen, auch bis hin zum Rollstuhl. Aber das ist nicht zwangsläufig so, und der Verlauf von MS ist individuell sehr unterschiedlich. Das Problem liegt oft auch nur in der Art der Kommunikation.
Der Rollstuhl wird von manchen als Schreckgespenst präsentiert – weniger als realistische Möglichkeit, sondern mehr als eine Art Drohkulisse. Gerade für Menschen, die ohnehin schon mit Unsicherheiten, Ängsten und ersten körperlichen Einschränkungen (z. B. Gleichgewichts- oder Bewegungsstörungen) konfrontiert sind, kann das sehr belastend sein. Eine offene, respektvolle Aufklärung hingegen schafft Vertrauen. Sie vermittelt, dass Medikamente eine Option sind, um den Verlauf positiv zu beeinflussen, ohne den Eindruck zu erwecken, die Betroffenen würden ohne Therapie zwangsläufig in einem Rollstuhl landen.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Der Rollstuhl sollte in der Kommunikation kein Druckmittel sein, sondern eine mögliche Realität, die in einem ehrlichen, individuellen Gespräch Platz finden darf – ohne Angst, sondern mit Transparenz und Respekt vor den Entscheidungen der betroffenen Menschen mit MS.
Rollstuhl aus Sicht von Betroffenen
Foto: Cedric aus der MS-Community, der übrigens auf Instagram spannende und informative Inhalte rund um das Leben mit Multiple Sklerose im Rollstuhl postet.
„MS und Rollstuhl – letzte Station? Auf gar keinen Fall! Ich erlebe den Rollstuhl als Türöffner. Ohne den Rollstuhl könnte ich viel weniger machen und erleben. Dieses Hilfsmittel ist für mich der absolute Gamechanger!“ (Cedric)
Bisher hatte ich den Rollstuhl als Mythos im Zusammenhang mit MS und als Druckmittel einiger Ärztinnen und Ärzte thematisiert. Doch wie ist die Haltung von Betroffenen zum Thema Rollstuhl? Im Laufe der Jahre ist mir in MS-Selbsthilfegruppen immer wieder aufgefallen, dass Rollstuhl-Ängste auch bei Menschen mit MS allgegenwärtig sind. In erster Linie bei MS-Neulingen, sofern ich das richtig einschätzen sollte.
Im Laufe der MS-Erkrankung ändert sich das oftmals, was meiner Meinung nach verschiedene Gründe haben kann. Vielleicht, weil man sich und seinen Körper besser kennenlernt? Man realisiert, dass es immer irgendwie weitergeht und dass man sich an fast alles gewöhnen kann. Man bekommt eventuell Kontakte und Unterstützung durch Gleichgesinnte, die man anfangs noch nicht hatte. Daraus ergeben sich Ratschläge und Tipps im Umgang mit verschiedensten Situationen sowie Verständnis und neue Freundschaften. Psychisch konnte man vielleicht im Laufe der Zeit besser mit allem umgehen!?
Ich möchte das Thema übrigens weder verharmlosen noch dramatisieren. MS ist die Krankheit der 1.000 Gesichter. Das betrifft sowohl die breite Palette möglicher Symptome als auch den individuellen Umgang mit der Krankheit. Damit möchte ich sagen, dass Person A vielleicht besser mit dem Thema Rollstuhl umgehen kann als Person B. Und wie bereits erwähnt, unterscheiden sich auch die Symptome von Fall zu Fall. Eine Person im Rollstuhl mit zusätzlicher Inkontinenz oder Spastik hat beispielsweise andere Herausforderungen zu meistern als eine Person im Rollstuhl mit Sensibilitätsstörungen oder Schwindel.
MS-Themen aus dem Inhalt:

Positive Gedanken mit Multipler Sklerose
Kostenübernahme für Rollstühle und Rollstuhlkurse
Die Kosten für Rollstühle werden in der Regel von der Kranken- oder Pflegekasse übernommen, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt. Dabei ist wichtig, dass das Hilfsmittel medizinisch notwendig ist und den individuellen Bedürfnissen entspricht. Je nach Modell und Ausstattung können Eigenanteile entstehen. Auch Reparaturen und notwendiges Zubehör sind meist Teil der Kostenübernahme.
Um den sicheren und selbstständigen Umgang mit dem Rollstuhl zu erlernen, bieten viele Einrichtungen spezielle Rollstuhlkurse an. In diesen Kursen werden Fahrtechniken, Tipps für den Alltag sowie Strategien zum Überwinden von Hindernissen vermittelt. Manche Krankenkassen oder Rehabilitationszentren unterstützen diese Angebote finanziell, sodass die Teilnahme oft kostenfrei oder stark vergünstigt möglich ist.
Deine Erfahrungen mit uns teilen
Du hast auch eine MS-Diagnose erhalten und möchtest etwas zu diesem Thema beitragen? Wie lautet deine Haltung und/oder Erfahrung zum Thema Rollstuhl? Hast du vielleicht Tipps und Ratschläge für andere Betroffene? Hast du auch Erfahrungen mit einem Rollstuhltraining (wo auch immer) gesammelt?
Erfahrungsberichte von Betroffenen lesen
Hier findest du Erfahrungswerte von Menschen mit MS, die über das Thema „Rollstuhl“ berichten:
- Für mich war bei der Diagnose die größte Angst: „Und was ist, wenn ich in 5 Jahren im Rollstuhl sitze?“ Es hat 10 Jahre gedauert, und er ist ein echtes Geschenk. (Axel)
- Ich denke jetzt anders. Mein Aktivrollstuhl bringt mir ein Stück Freiheit zurück. Ich bin froh, dass ich ihn habe. (Bernd)
- Rollator für kurze Strecken. Rollstuhl für lange Strecken – gut, dass es die Hilfsmittel gibt. Am Anfang ist es schwer zu akzeptieren. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Man kann wieder raus unter Menschen. Aber aller Anfang ist schwer. (Christel)
- Bei mir geht es auch los. Etwa 400 Meter schaffe ich. Mir wurde bisher ein Rollator empfohlen, aber selbstverständlich verhält sich der Mann wie ein kleiner Junge und weigert sich, so ein Teil zu nutzen. Ich bin gespannt, wann ich meine Meinung ändere. (Christopher)
- Ich bekomme meinen allerersten Rollstuhl: einen Aktivrollstuhl mit Greifreifenantrieb und Emotion-Antrieb, spätestens Ende des Monats. Zuvor hatte ich mir einen normalen ausgeliehen und war damit auf einem Konzert – genial! Mit Rollator oder Stock hätte ich das gar nicht geschafft. Zudem ist meine mögliche Mini-Wegstrecke dank Uhthoff nochmals reduziert. Da bleibt nur ein klarer Schritt: Ich werde weiter versuchen, alles mit Stock oder Rollator zu machen, aber ich kann den Rollstuhl dann nehmen – und das gibt mir garantiert ein Gefühl von Sicherheit und sowieso von Teilhabe. Wenn er da ist, mache ich außerdem noch ein Rollitraining. Ich habe eine Physiopraxis gefunden, die das anbietet. Dafür benötige ich ein 6er-Rezept mit dem Zusatz „eine Anwendung“; das muss wohl von der Krankenkasse genehmigt werden. Besorge ich mir, sobald meiner da ist. Dort wird unter anderem geübt: Wheelie, Rolltreppe, nach einem Sturz alleine wieder hinein und vieles mehr. Ich bin gespannt. (Corinna)
- Der E-Rolli ist für mich der absolute Game Changer. Mit meiner MS ist nach etwa 100 Metern mit dem Gehen Feierabend. Das Teil macht mich so flexibel. Ich kann zwar noch Auto fahren, aber für Spaziergänge, Einkäufe oder Museumsbesuche ist er perfekt. Er bringt einem wirklich ein großes Stück Freiheit zurück. (Dirk)
- Ohne meine Rollstühle wäre ich wesentlich eingeschränkter und könnte schon seit Jahren nicht mehr arbeiten. Der Rollstuhl ist Teilhabe, Trainingsgerät, Spaßgerät und – mit geeigneten Elektrohilfsmitteln – auch ein schnelles Fortbewegungsmittel. (Dirk)
- Ohne meinen „Paule“ könnte ich auch viel weniger unternehmen, und inzwischen bin ich glücklich, ihn zu haben, obwohl ich sehr lange gebraucht habe, einen Rollstuhl zu beantragen. Man muss selbst an dem Punkt sein, an dem man bereit dafür ist. Dadurch habe ich einiges verpasst. Er macht jetzt vieles einfacher. (Ines)
- Für mich geht es jetzt auch los, wie ein kleiner Junge, der seinen ersten Schritt macht. Ich werde neue Freunde finden – jippie! Ich wünsche jedem, dass er seine Gang findet. (Jimmy)
- Ohne Rolli wäre mein Leben ganz anders verlaufen und ohne Rolli könnte ich auch nicht so gut laufen. Lange Geschichte, die ich nicht aufschreiben kann – eher erzählen. (Katja)
- Der Rolli anfangs ungeliebte, jetzt mein bester Freund. (Melanie)
- Ich habe meinen Rollstuhl vor einem Monat bekommen, und das ist wieder ein Schritt mehr zur Freiheit. Ich kann noch gut laufen, aber die für mich gewohnten weiten Strecken sind nicht mehr möglich, und die Unsicherheit beim Laufen nimmt ebenfalls zu, da ich schon vier Mal gestürzt bin. Dieser Rollstuhl bedeutet einfach, wieder aktiver teilnehmen zu können, und ich bin dankbar, dass es diese Hilfsmittel für uns gibt. (Morena)
- Ich habe erstmal den Rollator im Haus stehen und tue mich damit sehr schwer. Meist benutze ich noch einen Gehstock, aber der hilft schon lange nicht mehr. Lange Strecken schaffe ich auch kaum noch, und wenn ich mir das richtig überlege, bräuchte ich auch einen Rollstuhl, um wieder mobiler zu sein. Der eigene Schweinehund sträubt sich immer noch gegen alles. (Nicole)
- Mein Rollstuhl hilft mir, mein Leben zu leben. Ich kann wieder an Aktivitäten teilnehmen, bin selbstständig und nicht auf Hilfe angewiesen. Urlaub, Konzerte, Spaziergänge, Museen, Shoppen und der Alltag sind wieder möglich. Sogar ein neuer Sport: Rollstuhl-Tennis im Verein – perfektes Training für meine Rumpfmuskulatur. (Petra)
- Am Anfang wollte ich ihn überhaupt nicht benutzen und schon gar nicht damit gesehen werden. Ich habe mir einiges entgehen lassen. Jetzt bin ich anders und möchte meine Freiheit und Selbstständigkeit dadurch auch weiterhin erhalten. (Sandra)
- Ich hatte als Kind Morbus Perthes und saß zwischen meinem 4. und 7. Lebensjahr im Rollstuhl. Damals war das für mich der absolute Horror. Und genau deshalb ist es heute wieder ein Albtraum, mich seit meiner Diagnose jeden Tag zu fragen: Werde ich wieder im Rollstuhl landen? (Sebastian)
- Ich nutze ihn sehr gerne, wenn ich wie gestern auf Veranstaltungen gehe. Der Name „Hilfsmittel“ ist genau richtig. Ohne ihn würde ich nicht hingehen. (Sonja)